Ruhige Tage in Jerez

Gelbes Licht flutet die leeren Straßen von Jerez.

Jerez de la Frontera in Andalusien: Eine Stadt, die berühmt ist für Flamenco und Sherry. Viel los ist hier nicht – aber genau das macht den Charme der Stadt aus.

Jetzt1 in Jerez. In diese Stadt in der Provinz Cádiz kommen Touristen nur, wenn sie Pferde lieben oder ein Faible für Sherry2 haben. Sonst eher nicht. Wir interessieren uns nur oberflächlich für Weißwein und sind trotzdem hier3. Sitzen unter einem beigen Sonnenschirm auf dem Plaza Plateros, schlürfen Kaffee und essen einen klebrigen Kuchen mit Messer und Gabel.

  1. Es ist der 28. Mai 2018, kurz vor 19 Uhr. Hinter uns liegen ein Flug und eine Taxifahrt. Da sind wir nun.
  2. Für Trinker mit Wissensdurst gibt es in Jerez diverse Touren durch Bodegas, wo das Nationalgetränk Andalusiens hergestellt wird. Besucher dürfen natürlich auch probieren, zum Beispiel beim größten Sherry-Produzenten der Welt, bei Gonzáles Byass. (Der Name Sherry leitet sich von Seris oder Xeris ab, dem arabischen Namen der Stadt Jerez. Als die Engländer den Likörwein im 16. Jahrhundert kennenlernten, verbogen sie seinen Namen zu «Sherry».)
  3. In Jerez beginnt nämlich unsere kleine Tour durch Andalusien: Mit dem Zug geht es übermorgen weiter nach Sevilla, anschließend nach Córdoba und schließlich zurück nach Cádiz.

Zwei kleine Hunde liefern sich nebenbei einen wütenden Schlagabtausch und bellen unsere Ohren taub. Es weht ein laues Lüftchen, das sanft durchs Haar streicht. Im Schatten ist es ein bisschen kühl – eigentlich sollte es um diese Zeit viel wärmer sein, fast heiß. Eine drückende Hitze wäre jedoch unangenehm, rede ich mir ein, als ich meine gerupfte Hühnchenhaut betrachte.

Die Menschen treffen sich auf dem Plaza Plateros, diesem schönen Platz in der Altstadt, um in Ruhe zu quatschen. Und es gibt viel zu erzählen, immer, zu jeder Tageszeit. Der Alltag bietet viel Stoff für lange Erläuterungen, Diskussionen und wütende Monologe. Betrunkenes Gestotter vermischt mit gesäuselten Liebesschwüren, unterbrochen durch ein Keifen, ein Geifern, ein lautes Lachen. Ich hingegen habe momentan nichts zu sagen. Da ist eine angenehme Leere in meinem Kopf. Auch mal schön.

Zum süßen Kuchen gibt’s ein scharfes Messer.

Doch als der Kellner kommt, muss ich sprechen und versuche meine Bestellung auf Spanisch: ¡Hola! Un café … con leche. Por favor, sage ich. Der Kellner schaut mich seltsam an. Ich ihn auch. Er trägt ein weißes Hemd, darüber eine schwarze Weste. Er trägt außerdem eine schwarze Hose und einen schwarzen Backenbart. Klassischer Kellner. Nur verstehe ich kein Wort von dem, was er antwortet, nicke aber selbstsicher und bestätige pauschal alles: «Si, si, señior!» Anschließend kann ich wieder gucken und lauschen.

Die entspannte Ruhe, das warme Licht, der blaue Himmel: Das also ist Jerez!

Ich mag die entspannte Ruhe hier, das warme Licht, den blauen Himmel. Ich mag, dass ich als Beobachter einfach zuschauen kann. Ich muss niemanden beeindrucken und muss mir keine Geschichten ausdenken. Ich darf einfach auf dem Stuhl sitzen und alle neuen Eindrücke gierig aufsaugen.

Die Glocken der Iglesia de San Dionisio bimmeln aufgeregt, übertönen spielend die kleinen Hunde, die plötzlich ehrfürchtig Ruhe geben. Sie haben verstanden, dass ihr Bellen jetzt sinnlos ist. Der Kuchen wird mit Messer und Gabel gebracht. Der Kaffee kostet 1,30 Euro und schmeckt köstlich. Das also ist Jerez.


Gelandet sind wir zusammen mit viele Tui-Touristen, die zügig die großen Reisebusse bestiegen, nachdem sie ihre pinken Trolleys vom Gepäckband gewuchtet haben. Jerez war nicht ihr Ziel, sondern irgendwelche Hotelanlagen an der Küste.

Am Taxi-Stand stand kein Mensch. Je näher wir dem historischen Zentrum von Jerez kamen, desto schöner wurde die Stadt und umso enger die Straßen. Der Taxifahrer fuhr selbstsicher und rasant durch die Gassen; er wollte uns vielleicht beeindrucken.

Gebucht haben wir zwei Nächte in der Casa Seven. Nur ist niemand da, der uns einen Zimmerschlüssel geben könnte. Derjenige, der das macht, würde erst später kommen, erklärte ein älterer Herr, der zufällig anwesend war. Wer genau er eigentlich war, blieb unklar; er führte uns zum Plaza Plateros und empfahl uns, in Ruhe einen Kaffee zu trinken und es in einer Stunde erneut zu versuchen. Das war eine gute Idee, wie sich herausstellte.

21:50 Uhr

Abendessen im Meson del Asador. Erst sind wir rein, weil es draußen etwas zu kühl war. Aber drinnen gibt es keine Tapas – drinnen gibts nur teures Essen und große Portionen. Also gehen wir wieder raus, setzen uns an den letzten freien Tisch unter dem dunklen Himmel, bestellen Patatas Bravas, Aioli, Queso Manchego und diverse andere kleine Speisen. Dazu schlürfen wir Tinto de Verano und Cerveza. Wenige Minuten später ist der Tisch voller Köstlichkeiten – das ist das gute Leben.

Ein bisschen Käse, ein paar Fleischbällchen – fertig ist das perfekte Mittagessen.

Am Nebentisch sitzt Steve aus Kanada mit seiner spanischen Geliebten. Er trägt einen schwarzen Schnauzbart, sie ein weinrotes Sommerkleid. Gerade so hat Steve sein Filmstudium beendet, jetzt driftet er ein bisschen durch die Welt. (Seine Freundin studiert derweil Medizin in Toronto.) Steve hält ein Referat über Filme und raucht dabei. Die Geliebte interessiert sich für seinen Monolog nicht, aber das kriegt Steve nicht mit, weil er so euphorisch erzählt, doziert, berichtet. Es geht um Jurassic Park und Steven Spielberg. Die Gedanken fliegen davon.

Um kurz vor Mitternacht kommt die Müllabfuhr. Es ist ein Höllenkrach. Schlafen kann ich aber sowieso nicht: Der Nachbar schnarcht so laut, dass auch unsere Wände wackeln.

Dienstag, 29. Mai

Der erste späte Morgen in Andalusien. Die Sonne scheint uns in die Augen und ein Fischgeruch steigt in unsere Nasen. Wir sitzen in der Café-Bar La Perla (3,3 Sterne bei Google), auf dem Plaza Esteve, gegenüber der Markthalle (4,4 Sterne). Heute ist Dienstag, überall laufen Menschen herum. Einerseits in Eile, andererseits auch entspannt, zum Beispiel dann, wenn Carla ihren Nachbarn trifft und sie erst einmal ein bisschen quatschen. Ältere Herren sitzen in sauberen Pullovern am Rand und plappern und lästern und lachen. Einer raucht. Der andere dann auch. Sie müssen nicht mehr arbeiten, sondern können diesen Werktag wie jeden anderen genießen.

Bei Manuel gibt’s leckere Churros!

Die Churros-Bude brummt, die Leute haben Lust auf Süßes. Churros sind längliche Krapfen, Fettgebäck, Glücklichmacher. Ein altes Ehepaar trägt eine prall gefüllte Papiertüte an den Nebentisch. Der Kellner bringt ihnen heiße Schokolade in einer Tasse. Sie tunken Churros hinein, glasieren sie und speisen vergnügt. Sie essen die halbe Tüte leer, den Rest lassen sie liegen. Der Kellner kommt und räumt alles zusammen, knüllt Papier und Churros zu einer großen Müllkugel zusammen.

Zum Frühstück bestellen wir bei dem jungen Kellner Baguette, Marmelade und Kaffee. Außerdem einen Brotaufstrich aus pürierten Tomaten, der ein typisch andalusisches Frühstück komplettiert. Der junge Kellner hat seinen Job noch nicht lange, er ist sehr motiviert und erfüllt uns jeden Wunsch. Vielleicht hofft er auf ein gutes Trinkgeld, kann sein; kriegt er dann ja auch.

Churros mampfen, ein bisschen quatschen: So geht das süße Leben in Jerez.

Eine Frau verkauft Lottoscheine. Brüllt, raucht und trinkt Cola. Ein alter Mann mit einer gerollten Zeitung unter dem Arm kauft ein Ticket. Er könnte einen Millionengewinn zwar gebrauchen, aber nicht mehr ausgiebig genießen. Er müsste den Reichtum vererben, an seine beiden Enkel, die auch nicht so recht wissen, wohin sie im Leben wollen. Der Mann hingegen weiß genau, wohin er will: auf den Stuhl neben dem Café-Eingang. Sitzen und Zeitung lesen, das ist sein Alltag. Er isst einen Apfel und bestellt ein Bier. Der Tag beginnt. Und ich bestelle einen zweite Caffee con Leche.


Um 15 Uhr ist die Fußgängerzone menschenleer. Niemand mehr zu sehen, nur zwei Verkäuferinnen, die in einem Klamottenladen ausharren und sich dort gähnend langweilen. Die Siesta holt die Leute von den Straßen und lockt sie fürs Nickerchen aufs Sofa. Da ist nur noch ein einsamer Irrer, der eine Cola-Flasche in der Hand hält und lautstark mit sich selbst streitet. Schreiend streift er durch die leeren Straßen, wie ein ruheloser Geist, der Rache will. Wir hoffen, dass er uns nicht entdeckt und erstarren zu Säulen. Haben Glück, der Irre dreht ab. Nur noch sein Lachen ist zu hören; wie es verhallt.

Um 0:27 Uhr liege ich im Bett. Mir ist leicht übel. Habe zu viel Tapas gegessen und zu viel Sherry getrunken. Und der Nachbar schnarcht wieder. Schnarcht laut, so verdammt laut!

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